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"Wie entstand überhaupt das Silberbornbad?" Bericht eines Zeitzeugen


Zugegeben, aus heutiger Sicht ist es erstmal nicht nachvollziehbar, was dieser Eintrag bei Harlingerode PUR zu suchen hat. Das Schwimmbad ist doch hinten bei Schlewecke! Oder Bündheim? Ist doch eh alles dasselbe... [Hinweis: Das Silberbornbad liegt klar in Schlewecke. Zwar kennt diese heute kaum noch, aber es gibt tatsächlich eine klar definierte Grenze zwischen Schlewecke und Bündheim].


Was aber kaum jemand heutzutage weiß (oder auch interessiert), ist, dass die Politik aus Harlingerode den Bau des Silberbornbads hauptsächlich antrieb. Vor 1972 gab es die Stadt Bad Harzburg nicht in ihrer heutigen Form, sondern die meisten Dörfer waren eigene Gemeinden: Bündheim-Schlewecke (seit 1960), Bettingerode, Westerode und eben Harlingerode (Göttingerode gehörte politisch zu Harlingerode). Der Gemeindedirektor übernahm neben dem Bürgermeister und dem Gemeinderat eine politische Hauptfunktion in einer Gemeinde.


Horst Voigt war der letzte Gemeindedirektor von Harlingerode. Er beschrieb in einem auf den Oktober 2014 verfassten Text seine Sicht auf die Entwicklung des Silberbornbads und den Harlingeröder Beitrag. Es sei anzumerken, dass eventuell geäußerte Meinungen seine eigene Ansicht widerspiegeln und keinen unbestreitbaren Konsens meinen.


Nicht von Voigt stammende Anmerkungen sind in kursiv und mit eckigen Klammern gekennzeichnet.


Vielen Dank an dieser Stelle an Horst Voigt für seine Einwilligung zur Veröffentlichung! Er gab sie mir (Till-André Diegeler) telefonisch am 9. Oktober 2021.

 

Wie entstand überhaupt das Silberbornbad?


Das Silberbornbad hat in den letzten Jahren immer wieder die Gemüter in der Stadt erregt und wird hoffentlich auch den neuen Rat der Stadt beschäftigen.

Immer wieder werde ich gefragt, wie es dnen eigentlich zum Bau dieses Bades gekommen ist. Und so habe ich mein Gedächtnis bemüht.


Die Finanzen der Gemeinde Harlingerode/Göttingerode hatten sich in den 60'er Jahren des vorigen Jahrhunderts nicht schlecht entwickelt, nachdem sie zusammen mit vielen gleichgelagerten Städten und Gemeinden im gesamten Bundesgebiet einen Prozeß beim Bundesverwaltungsgericht gewonnen hatte, der die Gewerbesteuer zwischen den sog. Standortgemeinden und Wohnsitzgemeinden neu geregelt hatte. Das brachte für Harlingerode eine erhebliche Steigerung und Nachzahlung der Gewerbesteuereinnahmen insbesondere der Hüttenwerke mit sich, so daß sie ihre kommunale Ausstattung, heute würde man sagen: Infrastruktur, wie zB. die zentrale Trinkwasserversogung, die Abwasserbeseitigung, den Ausbau der Ortsstraßen usw. in Harlingerode und Göttingerode sofort in Angriff nahm. Daß dazu auch ein Schwimmbad gehörte, versuchte ich als damaliger junger Gemeindedirektor den Ratsmitgliedern nachzubringen. Aber das war nicht leicht, denn ein Schwimmbad in einer 6.500 Einwohnergemeinde? Das war doch wirklich nicht nötig, meinte man überwiegend.


Diese Meinung änderte sich dann aber schlagartig, als die Ergebnisse einer landesweiten Reihenuntersuchung an den Schulen bekannt wurden, die für den Amtsbezirk Bad Harzburg erschreckende Nichtschwimmerzahlen und massive Haltungsschäden bei den Schulkindern erbrachte. Etwa 80% der über 10 Jahre alten Schüler konnten nicht schwimmen und der ärztliche Dienst betonte immer wieder die Wichtigkeit gerade des Schwimmens bei den ebenfalls festgestellten Haltungsschäden.


Das Bundes-Sozialministerium hatte für alle Schüler die "Marschroute" ausgegeben: "Kein Kind dürfte die 4. Klasse der Grundschule verlassen, das nicht ein Freischwimmerzeugnis besitze."


Die alarmierende Feststellung hatte den Kreistag im Landkreis Wolfenbüttel, zu dem der Amtsbezirk Harzburg noch gehörte, auf den Plan gerufen und er faßte 1965 den Beschluß, den Bau und die Einrichtung von 4 Schwimmbädern im Kreisgebiet mit Kreismitteln fördern zu wollen. Die Trägerschaft sollte aber den Gemeinden übertragen werden.


Das war das Signal für die Gemeinde Harlingerode! Natürlich ging es aber nur um Freibäder, an Hallenbäder war damals nicht zu denken. Das aber rief die Lehrerschaft auf den Plan. Ein Schulleiter aus Schleweke und sein Lehrerkollegium kamen auf mich zu und erklärten mir, daß man mit einem Sommerbad keinen nachhaltigen Erfolg mit dem Schwimmunterricht erzielen könnte. Sommertage mit angemessenen Temperaturen gäbe es in unseren Breitengraden zu wenig [Anm.: Der Klimawandel war seinerzeit weit weniger fortgeschritten] und wenn sie im Juli oder August kämen, fielen sie in die Schulferien, so daß ein geregelter Schwimmunterricht einfach nicht möglich sei. Hier gäbe es nur ein Hallenbad als Lösung.


Aber das konnte eine Gemeinde allein nicht schaffen. Es mußte mindestens die Gemeinde Bündheim/Schlewecke mit ins Boot geholt werden. Aber das war "nicht ohne", denn deren Finanzsituation war nicht rosig und das Verhältnis Harlingerode/Bündheim war gerade zu der Zeit nicht das beste. Die Stadt Bad Harzburg hatte das Ansinnen abgelehnt in Hinblick auf den geplanten Bau eines Thermal-Solebades. Man meinte, wenn Leute unbedingt in einem Hallenbad schwimmen wollten, könnten sie doch ins Thermalbad gehen.


Letztlich konnte die Gemeinde Bündheim für eine gemeinsames Hallenbad gewonnen werden, nachdem man als Standort eine Fläche in Bündheim ausgewählt hatte. An der B6 verkehrstüchtig gelegen, [Anm.: Die B6 verlief bis 1987 südlich von Schlewecke auf der heutigen L501.] in landschaftlich reizvoller Lage vor den Harzbergen noch dazu mit der Möglichkeit, später das ins Auge gefaßte Freibad anzugliedern.


1965/66 war es dann zu den Gemeinderatsbeschlüssen in beiden Gemeinden für eine gemeinsame Trägerschaft des Hallenbades gekommen. Bad Harzburg aber sah darin eine Konkurrenz zum Thermalbad, und die Mehrheit des Rates entfachte ein Sperrfeuer aller erster Güte dagegen. Halbseitige Zeitungsinserate, polemische Presseartikel, Karikaturen usw. hielten monatelang die Öffentlichkeit in Atem.


Um sich wirklich ein Bild von einem sehr modernen Hallenbad zu machen, besuchten Delegationen aus beiden Gemeinden die gerade fertiggestellten besten Hallenbäder in der Bundesrepublik: In der Neuen Vahr in Bremen und in Düsseldorf.


Für die Finanzierung der mit rd. 3 Mio. DM veranschlagten Baukosten kam und dann eine weitere Möglichkeit zur Hilfe. In Bonn hatte die damalige Große Koalition unter der Federführung von Bundeswirtschaftsminister Prof. Karl Schiller zur Ankurbelung der schwächelnden Konjunktur kurzfristig ein Konjunktur-Förderungsprogramm aufgelegt, aus dem sich auch die öffentliche Hand bedienen konnte.


Also, sofort einen Antrag formulieren und mit allen Unterlagen nach Bonn... natürlich "auf dem kleinen Dienstweg" versteht sich.


Als ich in Bonn im Ministerium meinen ganzen Mut zusammen nahm und auf die Frage: "An wieviel Förderung haben Sie denn gedacht?" den Wunsch mit 1 Mio. DM bezifferte, war die mich erschlagende Antwort: "Was, so wenig, damit können wir die Konjunktur in der ganzen Republik aber nicht ankurbeln". Das war die unerwartete Antwort auf den kleinen Gemeindedirektor aus der Provinz!


Letztlich das Ergebnis: Wir erhielten zu den genauen Baukosten von 3,2 Mio. DM eine Förderzusage von 1,1 Mio. DM, und zusätzlich übernahm der Bund den Zinsendienst für die restlichen Darlehen, die nach Abzug der 750.000 DM-Förderung durch den Landkreis noch verblieben, für 10 Jahre!


Eine solche Finanzierung konnte sich sehen lassen und strapazierte die Gemeindekassen nicht übermäßig.


Das Bad erhielt seinen Namen unterhalb des Silberborns und wurde am 19. Mai 1970 als erstes Hallenbad im Landkreis Wolfenbüttel seiner Bestimmung übergeben. Seine herrliche Lage und seine Funktionsfähigkeit haben es dann schnell weit über die Grenzen des Amtsbezirks hinaus bekannt und beliebt gemacht.


Die Schulen, die inzwischen gegründeten Schwimmabteilungen der Vereine, die DLRG, der Versehrtensportverein und auch die Feuerwehren konnten nun loslegen und waren begeistert. Unzählige Gemeinderäte aus Städten und Gemeinden kamen zur Besichtigung.


Um die Jahrhunderwende [Anm.: 2000] ist dann die wunderbare Außenanlage hinzugekommen. Sie wurde von den Stadtwerken geschaffen, nachdem an den Stadtwerken die Contigas beteiligt wurden und unter der Leitung von dem kürzlich verstorbenen Alfred Brüning der Gewinn fast verdoppelt wurde.


Ich tausche immer mit alten Harzburgern Erinnerungen an diese Entstehungsgeschichte aus. Ich treffe die eifrigen ca. 20 Schwimmer allerdings im Goslarer Hallenbad, weil das Frühschwimmen im Silberbornbad ja vor einigen Jahren abgeschafft und jetzt sogar zum sog. Sommerbad degradiert wurde. Daß das Bad bis heute pfleglich geführt wurde, davon kann sich jeder selbst überzeugen, wenn er zum Schwimmen kommt, leider sind es zu wenige!


Wie die heutigen Zahlen der Nichtschwimmer sind, ist mir nicht bekannt. [Anm.: "[...] die Zahl bei den jetzt 14- bis 29-jährigen Befragten: Nur noch 36 Prozent lernten das Schwimmen in der Grundschule.", laut DLRG im Jahr 2017.] Hoffentlich sehen sie nicht so aus, wie vor 50 Jahren! Daran sollte der neue Rat und die Geschäftsführung der KTW bei ihrer stiefmütterlichen Behandlung des Bades sich einmal erinnern.


Im Oktober 2014


Horst Voigt

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